Wir machen eine Nachtwanderung!

Eine Wanderung im Dunkeln kann eine ganz schöne Mutprobe sein, vor allem, wenn einem unterwegs Gespenstergeschichten einfallen, und es plötzlich am Wegesrand raschelt und knackt. Traut Ihr Euch mitzukommen?

Draußen
Von Dorthe Voss, 19.09.2022 0 Kommentare

Ich hab Adleraugen! Damit kann ich auch nachts gut gucken“, verkündet Mats in die gerade einsetzende Dämmerung – und meint damit, dass er keine der Taschenlampen braucht, die ich gerade aus dem Rucksack krame. Tatsächlich ist es noch nicht richtig dunkel, als ich mit Mats und seinen Freunden Maximilian, Emilia und Lene (alle 7 Jahre) am Startpunkt unserer Nachtwanderung stehe: einem abgelegenen Fleckchen im Niendorfer Gehege, unweit der Waldlichtung, auf der die Kinder sonntags gerne das Damwild mit Kastanien oder Eicheln füttern. Hier wirkt die Stadt fern und die Wege sind nur spärlich beleuchtet. Schon seit Wochen freuen sich die vier Kinder auf diesen abenteuerlichen Ausflug – jetzt soll es eeendlich losgehen.

Ausrüstung für Nachtwanderer*innen

  • Feste Schuhe
  • Regenjacke und Fleece
  • Mückenschutz
  • Trinkflasche und ein paar Snacks
  • Taschenlampe und Batterien
  • Kühlpack und Pflaster
  • Aufgeladenes Handy

„Trotzdem, ein bisschen Licht brauchen wir“, bestimme ich und befördere nun die Lampen hervor. „Wie cool, wir nehmen die Stirnlampen“, beschließen die Mädels begeistert. Auch Mats und Max greifen doch lieber bei den Taschenlampen zu. Zwischendurch wird einfach getauscht…

Dann kann es losgehen! Oder? Halt! Bevor wir uns auf den Weg durch den ehemaligen Privatwald machen, markieren wir den Stamm einer alten Eiche – nur zur Sicherheit – noch schnell mit Leuchtkreide. Die haben die vier Freunde zu Hause selbst hergestellt. Jedes Kind bekommt ein Stück Kreide in die Hand gedrückt, um es mit dem Licht ihrer Taschenlampen aufzuladen. Denn nur so erstrahlen unsere Markierungen nachher in der Dunkelheit. Das finden Lene und Emmi besonders witzig. Kichernd leuchten sie sich gegenseitig mit ihren Stirnlampen an. Während Mats seine Zeichen hinterlässt, fügt Maximilian hinzu: „Ich kann mir sowieso jeden Weg merken.“ Ob dem wirklich so ist, sollen wir noch feststellen …

Regeln für Nachtwanderer*innen

  • Wir besprechen Start und Ziel, bevor es losgeht.
  • Wir bleiben zusammen!
  • Wir sind fair: Niemand wird ausgelacht, wenn er oder sie sich fürchtet!
  • Wir nehmen alles wieder mit, was uns gehört!
  • Wir nehmen Rücksicht auf Tiere und Pflanzen!

Neugierig und mit Abenteuerlust im Bauch stürmen daraufhin alle vier los. Wie wilde Wölfe klettern sie über Stämme und springen in Laubhaufen. „Denkt daran, wir bleiben alle zusammen!“, rufe ich ihnen nach und eile schnellen Schrittes hinterher. Wir wollten doch wandern und nicht rennen?

Ein besonders großer Baumstamm beschäftigt die Meute einen Moment. Diese Gelegenheit nutze ich, schließe auf und erkundige mich nach den Tieren, die jetzt noch oder gerade erst wach sind. Und als hätte sie nur auf ein Zeichen gewartet, meldet sich tatsächlich eine Eule zu Wort. Erstauntes Murmeln geht durch unsere kleine Truppe. „Das war bestimmt ein Waldkauz“, flüstert Maximilian und gekonnt ahmen die Jungs ein langes „Schuhuuu, Schuhuuu“ nach.

Plötzlich geht Emmi in die Hocke. „Und hier ist eine Maus!“, wispert sie. Einen winzigen Moment später kniet Lene neben ihrer Freundin und leuchtet den Boden ab. „Nichts zu sehen“, stellt sie schulterzuckend fest. Scheinbar ist das Nagetierchen auf der Flucht vor der Eule flink verschwunden.

Alle vier sehen sich noch einmal ausgiebig nach dem Nachtgreif um, dann geht es durch raschelndes Laub und heruntergefallene Zweige und Zapfen weiter. Durch schmale Lücken zwischen den Bäumen blitzen letzte Lichtstrahlen hindurch, während sich unsere Füße bereits auf dem schattigen Boden tastend ihren Weg suchen müssen.

Tiere in der Dämmerung

Kleinere Tiere, denen Ihr bei Einbruch der Dunkelheit begegnen könnt, sind zum Beispiel Igel, Feldmaus, Ratte, Feldhase oder Wildkaninchen. In den Bäumen oder in der Luft seht Ihr vielleicht einen Waldkauz oder Fledermäuse.

Waldkauz
Der Waldkauz ist am Abend oft zu hören. Sein Ruf klingt wie ein kleines Gespenst

Außerdem treten am Abend Rehe und etwas später die Wildschweine aus dem Dickicht heraus. Vor Letzteren solltet Ihr Euch in Acht nehmen, vor allem wenn Sie Frischlinge dabeihaben!

Fuchs
Gesunde Füchse sind scheu. Sie ernähren sich von Beeren, Vögeln und Mäusen

Mit etwas Glück könnt Ihr bei Einbruch der Dunkelheit manchmal sogar einen Dachs, Waschbär, Steinmarder oder Fuchs entdecken. Je leiser Ihr Euch verhaltet, desto größer ist die Chance!

Dachs
Der Dachs verlässt erst mit Einbruch der Dunkelheit seinen unterirdischen Bau

Da habe ich eine Idee: „Wer traut sich, etwas vom Boden aufzuheben? Mit ausgeschalteten Lampen natürlich!“ Ein bisschen gemein ist diese Herausforderung schon, denn niemand weiß so genau, ob es sich bei dem Fundstück vielleicht um ein glitschiges Tier oder sogar einen Monsterfuß handelt …

Doch Mats, Maximilian, Emmi und Lene löschen ohne zu zögern ihre Lichter. Ich sehe nur noch schemenhaft, wie sie krabbelnd den feuchten Untergrund absuchen. „Ich hab was!“, ruft bald einer nach dem anderen. Und: „Zeig mal!“ Vor lauter Aufregung vergessen die Freunde sogar, ihre Lampen wieder anzuknipsen. Im Halbdunkeln können wir gerade so erkennen, dass Mats und Emmi verfaulte Kastanien aufgehoben haben, Lene einen Stein und über Maximilians Hand krabbelt ... ein Ohrenkneifer. Igitt! Schnell weg mit allem.

Die Mutprobe ist auf jeden Fall bestanden! Als ich die vier anschließend darauf hinweise, dass ihre Taschenlampen gar nicht leuchten, lachen sie und bestehen darauf, sie auszulassen. Na gut, denke ich, wagen wir einen Versuch. Mit jedem Schritt verwandelt sich die Dämmerung immer mehr in Dunkelheit.

In der Ferne lugt ein düsteres Anwesen aus den Bäumen hervor: die alte, verlassene Villa, die schon tagsüber etwas unheimlich ist. Etwas zaghaft nähert sich die Truppe dem zerfallenen Gebäude. „Wohnt da wirklich keiner?“, fragt Mats, und zusammen trauen sich alle bis an die schmutzigen Fenster heran. „Vielleicht ja doch“, fantasiere ich, und weil wir drinnen nichts erkennen können, ziehen wir langsam weiter.

Unterwegs erfinden wir gemeinsam eine schaurig-schöne und witzige Geschichte. Die Mädels laufen neben mir und spucken eine Idee nach der anderen aus, während die Jungs … Moment, die waren doch eben noch genau hinter uns. „Schaltet mal eure Lampen an!“ Ich drehe mich im Kreis und suche die Baumstämme ab. Bis mit einem Mal zwei Gestalten aus dem Gebüsch springen und laut „Buh!“ rufen. Ich bin die Einzige, die aufgebracht kreischt. Emilia und Lene kichern hinter vorgehaltenen Händen. „Seid ihr verrückt geworden?“, schimpfe ich. Aber nur ganz kurz. Dann kann auch ich lachen.

Spiele im Dunkeln

In der Dunkelheit werden all die Sinne geschärft, die tagsüber eher nebenbei arbeiten. Natürlich könnt Ihr auch einfach nur im Dunkeln spazieren gehen – noch mehr Spaß macht es allerdings, die Sinne durch verschiedene Aufgaben zu fordern:

Schattenspiele: Tiere
Probiert mal, Schattentiere zu machen – fallen Euch noch weitere ein?

  • Überlegt mal, welche (Grusel-) Gestalten Ihr in Bäumen, Sträuchern, Steinen seht. Dann die Lampen wieder an und aufatmen – puh, doch nur ein …
  • Jeder schreibt mit Lichtsignalen seinen Namen – dafür vorher das Morsezeichen-ABC kopieren und verteilen.
  • Ihr geht in verschiedene Richtungen auseinander. Dann macht Ihr das Licht aus. Jedes Kind ruft seinen Namen, dann machen alle die Taschenlampen wieder an.
  • Zwei Kinder bleiben stehen, die anderen gehen gemeinsam ein kleines Stück in die Dunkelheit hinein. Jetzt machen sie Geräusche und die anderen müssen sie finden.
  • Wer traut sich, etwas vom Boden aufzusammeln – ohne mit der Lampe darauf geleuchtet zu haben?

Dennoch ist es mir lieber, wir schalten alle die Taschenlampen wieder ein. Es ist jetzt auch dunkel genug für das Spiel mit den Lichtzeichen, das ich vorbereitet habe. Nacheinander sollen die vier ihren eigenen Namen morsen – mithilfe der Taschenlampen und des ausgedruckten Morse-ABCs. Lene möchte beginnen, stellt aber schnell fest, dass es gar nicht so leicht ist. „Ich kann das nicht“, jammert sie und gibt nach dem „L“ auf. Okay, die vier haben in der 1. Klasse gerade erst das ABC kennengelernt – da reicht es, den Anfangsbuchstaben des eigenen Namen zu morsen.

Ältere Kinder können mit etwas Übung sicherlich kleine Botschaften hin- und hersenden.

Lichtzeichen

Mithilfe des Morsezeichen-Alphabets können im Dunkeln Nachrichten übermittelt werden – das nennt man Lichtmorsen. Jeder Buchstabe besteht aus einer bestimmten Reihenfolge von Signalen aus „Kurz – dit“ und „Lang – dah“.

Bei den Zahlen werden die kurzen Signale ganz einfach bis zur Fünf rauf und dann wieder runter gezählt.

Das Morsezeichen-Alphabet
Mithilfe des Morsezeichen-Alphabets und Taschenlampen könnt Ihr Euch im Dunkeln Nachrichten schicken

„Den können wir gut anmalen“, fällt Emmi ein, und sie wühlt ihre Leuchtkreide aus der Jackentasche. Zu viert verzieren sie den Stein mit gelben, blauen und grünen Mustern. Bis einer „Ich habe Hunger!“ ruft und alle mit einstimmen. Gut, dass wir ganz in der Nähe ein Tipi aus Baumstämmen entdecken, das andere Kinder dort zuvor gebaut haben müssen – der perfekte Ort für eine kleine Pause samt Stärkung. Wie ausgehungerte Tiere fallen die Freunde über ihre mitgebrachten Laugenstangen, Apfelschnitze und Salzbrezeln her. Zusammen mit dem warmen Früchtetee und dem Licht der Lampen ist es im Baum-Tipi schön gemütlich. „Fehlt nur noch eine Decke“, sagte Lene und gähnt. Also, schnell wieder aufbrechen, bevor noch jemand einschläft!

Obwohl wir nur einen kleinen Moment in der Höhle verbracht haben, schlägt uns beim Rauskommen plötzlich eine tiefschwarze Dunkelheit entgegen. Unsere Augen müssen sich erst einmal daran gewöhnen.

„Ich will nach Hause!“, melden sich da auch schon die ersten. Ich versuche, darauf vorerst noch nicht einzugehen, sondern es mit Motivation zu versuchen: „Kommt, wir denken uns selbst Schattengestalten aus“, schlage ich vor und halte meine zu einer Fledermaus geformten Hände an einen Baumstamm. Mats lässt mit seiner Taschenlampe einen Schatten entstehen. „Ich will auch mal!“ Begeistert springt Emmi neben mich, und auch Maximilian und Lene legen direkt los. Die Ablenkung ist geglückt.

Tipps gegen die Angst

  • Strecke an das Alter der Kinder anpassen – lieber etwas kürzer, als vorzeitig abbrechen zu müssen.
  • In der Dämmerung starten und in die Dunkelheit hineinlaufen.
  • Kinder erst einmal ein Stück laufen und beobachten lassen, bis sie sich in die ungewohnte Situation eingefühlt haben.
  • Aufgaben und Spiele zwischendrin einflechten, aber nie überfordern und immer auf die spontanen Bedürfnisse der Kinder eingehen.
  • Anti-Angst-Mantra ausdenken, das alle Kinder kennen. Ruhig mehrmals hintereinander aufsagen, solange, bis die Angst sich wieder zurückzieht. Oder Witze erzählen. Oder ein Lied singen, das alle kennen.

Doch nun wird es allmählich Zeit, den Rückweg anzutreten … der noch gleich wo genau war? So ein muffiger Monstermurks aber auch! Während wir den richtigen Weg suchen, peitschen uns unentwegt piekende Zweige um die Beine, und wir merken schnell: Etwas, das im Hellen völlig harmlos ist, erscheint bei Dunkelheit so richtig bedrohlich. Da werden aus langen umgekippten Baumstämmen gefährliche Riesenschlangen, knackende Äste klingen wie brechende Knochen.

Etwas orientierungslos laufen wir umher. Und – ups – da war ein Loch … schon wieder … könnte ein Fuchsbau sein. Oder doch eine Falle wie bei Robin Hood? Unsere Leuchtmarkierungen finden wir leider auch nicht wieder. „Wir müssen da längs“ – „Nein, hier!“

Die Stimmung droht zu kippen. Also allerhöchste Zeit für unser Anti-Angst-Mantra. Ich spreche es einmal vor, dann sagen wir den Vers im Chor auf: „Ob Monster, Spinne, Dunkelheit; für Angst haben wir jetzt keine Zeit!“ Gleich nochmal, und nochmal … Puh, das hilft ein bisschen. Da gemeinsam alles nur noch halb so schlimm ist, fassen sich die Freunde bei den Händen und jeder ist mal der Anführer.

Ob Monster, Spinne, Dunkelheit; für Angst haben wir jetzt keine Zeit!

Anti-Angst-Mantra für die Nachtwanderung

Und dann – wie durch Zauberei – haben wir es tatsächlich geschafft! „Da vorne sind wir gestartet!“, jubeln alle vier gleichzeitig. Erleichterung breitet sich aus. Und Stolz. Stolz darauf, dieses Abenteuer – trotz kurzzeitigem Grummeln im Bauch – bestanden zu haben. Jetzt, da wir die hohen Bäume verlassen haben, erstreckt sich über uns ein dunkler Himmel. Mit Sternen! Ein besonderer Abschluss, denn Sterne sieht ein Großstadtkind eher selten. Doch Lene weiß von ihrem Opa: „Das da ist der große Wagen.“ Ganz genau!

Und noch eine Sache haben wir während dieser Nachtwanderung gelernt: Bei Dunkelheit helfen selbst die besten Adleraugen nicht – da brauchen wir doch eher die Augen eines Waldkauzes ...

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