Was passiert bei Land unter?

Ruth Hartwig-Krause wohnt mit ihrer Familie und etlichen Tieren auf der Hallig Nordstrandischmoor. Im Interview erzählt sie, was bei einer Sturmflut passiert

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Von Warum!-Redaktion, 11.10.2021 0 Kommentare

Ruth Hartwig-Kruse
Ruth Hartwig-Kruse ist auf der Hallig Nordstrandischmoor geboren und aufgewachsen. Sie lebt zusammen mit ihrem Mann, ihren drei Kindern, ihrer Mutter, 200 Schafen, vier Hunden, einem Pony und drei Kaninchen auf der Norderwarft.

Wie bereiten Sie sich auf ein „Land unter“ vor?

R. H.-K.: Dank des Internets verfolgen wir die Tiefdruckgebiete. Gepaart mit unserem gesunden Menschenverstand können wir ungefähr abschätzen, wann das Hochwasser kommen könnte. Am Abend zuvor müssen dann die Schafe in ein Vorwerk gesperrt werden. Ein großer Zaun hält sie vom Wasser fern. Wenn nachts das Wasser höher steigen sollte, werden sie auf die Warften geholt. Schlafen tun wir in diesen Nächten nicht. Man muss das Hochwasser beobachten. Tagsüber geht dann der ganz normale Tagesablauf weiter. Die Kinder können zwar nicht zur Schule gehen, bekommen aber die Aufgaben per E-Mail zugeschickt. Wenn das Wasser abläuft, treiben wir die Schafe wieder auf die Weiden und säubern die vom Salzwasser gefluteten Tränken.

Wie lange dauert das Hochwasser in der Regel an?

R. H.-K.: Zwölf Stunden etwa. Dann, nach zwölf Stunden, entscheidet sich, ob es wieder Hochwasser gibt.

Wie war denn ihr erstes „Land unter?“

R. H.-K.: Ich bin hier geboren und aufgewachsen, deshalb gehört für mich „Land unter“ einfach dazu. 1976 hatten wir eine große Sturmflut, da war ich 13 Jahre alt. Angst hatte ich nicht, weil meine Eltern da waren. Mein Vater und ich haben stundenlang Wasser aus dem Keller geschöpft – tja, und als das Wasser immer weiter stieg, beschloss mein Vater, dass wir in den ersten Stock umziehen. Unten wurde alles vom Wasser verwüstet: Türen und Fenster gingen zu Bruch. Spätestens seitdem gehört „Land unter“ für mich zur Normalität.

Gibt es denn einen Notfallplan?

R. H.-K.: Jede Warft besitzt einen Notraum. Dabei handelt es sich um einen Raum, der auf vier Stahlbetonpfählen im ersten Stock steht. Wir nennen ihn den Bunker. Wenn das ganze Haus zusammenbricht, bleibt dieser Raum stehen. Das ist die Notversicherung der Hallig-Bewohner. Aber darüber mache ich mir jetzt keine Sorgen. Wenn man permanent mit dieser Angst leben würde, sollte man lieber von der Hallig wegziehen!

Welche Kriterien sollte man erfüllen, um auf einer Hallig leben zu können?

R. H.-K.: Man darf nicht vor sich selber weglaufen und sollte mit sich und der Welt im Reinen sein. Problembeladen auf die Hallig zu kommen, ist keine gute Idee. Und die Frauen, die hier herziehen, müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie auf einer Hallig in erster Linie Hausfrau und Mutter sind. Jobs für Frauen gibt es hier kaum.

Was macht das Leben auf einer Hallig so einzigartig?

R. H.-K.: Das Leben mit der Natur und nicht gegen sie. Das bewusste Erleben der Jahreszeiten. Im Frühjahr freut man sich über die Zugvögel und im Sommer über die frisch geschlüpften Jungen. Wir gucken nicht auf den Termin-, sondern auf den Tidenkalender und müssen uns darauf einstellen, nicht immer auf’s Festland zu kommen.

Was vermissen Sie auf dem Festland am meisten?

R. H.-K.: Die Natur, die Weite und die klare Luft. Ich lebe hier unheimlich gern.

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